Dinosaurier streicheln im Arther Kirschgarten

Raphael Briner

29.06.2020

Wenn ein Schweizer Brenner keinen Kirsch brennen kann, dann hat er keine Zukunft. Dreht man diese Aussage von Lorenz Humbel ins Positive, so wird klar, dass den heimischen Destillateuren nicht bang sein muss. 34 in den letzten 20 Jahren aus Chriesi gebrannte Schnäpse gelangten am Anlass «Sortenreine Kirschbrände» des Schweizer Schnaps Forums in Arth SZ zur Verkostung. Dabei wurde klar, dass sowohl die Altmeister als auch der Nachwuchs ihr Metier beherrschen.

Bereits bei der in Coronazeiten nötig gewordenen Handdesinfektion zu Beginn zeigte sich, dass die rund 30 Mitglieder des Schweizer Schnaps Forums und Gäste unter dem Motto «Sortenreine Kirschbrände» ein nicht alltäglicher Anlass erwartete. Lukas Fassbind spritze mit einer Pipette Tropfen vom unverdünnten, 1999 gebrannten (am 28. September, für diejenigen, die es genau wissen wollen) Güpfer-Chriesi auf die Hände.

Den Auftakt des von André und Bernadette Richiger zusammen mit Fassbind (alle drei im Chriesi-Outfit) organisierten Anlasses machte ein Apéro im Fassbind-Stammhaus in Oberarth. Ein fein perlender, frischer Kirschensekt von Philipp Hotz aus Baar ZG mit Frucht und gut eingebundener Steinnote begleitete extra für diesen Tag kreierte Chriesi-Chäs-Chüechli.

Eine Weltpremiere: Chriesi-Chäs-Chüechli.

Dann ging es los auf einen längeren Spaziergang durch den Arther Kirschgarten. Dabei durften die Teilnehmenden nicht nur die schöne Landschaft zwischen Berg und See mit ihren vielen Hochstammbäumen geniessen, sondern auch die ganze Bandbreite des Wetters: Zuerst war es heiss und manch einer trug einen Sonnenbrand davon, dann musste man immer wieder unter reichbehangenen Kirschbäumen Schutz vor heftigem Regen suchen.

Degustieren und Kirschen essen im Schutz eines Hochstammbaums.

Vielfältiger Basler Langstieler

Der von der Familie Zwyssig bewirtschaftete Rufihof war die erste Station. Dort präsentierten die im Verein Brenzer Kirsch zusammengeschlossenen Altmeister Hermann Röllin aus Baar ZG, Lorenz Humbel aus Stetten AG und Thomas Heiner aus Zug ihre Produkte zusammen mit den passenden Kirschen von den Zwyssigs.

Einen Schwerpunkt bildete die Sorte Basler Langstieler mit vier Bränden von Humbel und einem von der Distillerie Seetal in Hohenrain LU. Da es den Rahmen mehr als sprengen würde, in diesem Text alle 34 Brände näher zu beschreiben, soll hier stellvertretend für viele andere an diesem Tag präsentierte auf einige Schnäpse etwas näher eingegangen werden.

Eines der Humbel-Produkte war mit Kirschen von den Zwyssigs gebrannt worden. Lorenz Humbel stellte die These auf, dass diese in Arth auf Bergsturz-Geröllboden gewachsenen Chriesi rustikalere Brände ergeben als diejenigen Früchte, die auf Jura-Kalkboden in der Nordwestschweiz gedeihen. Diese Aussage war in der vergleichenden Degustation zwischen den Basler Langstieler 2016 und 2019 (Zwyssig-Kirschen) nachvollziehbar, allerdings dürfte auch das Alter dazu beigetragen haben, dass ersterer eleganter, feiner ist.

Basler Langstieler mit den entsprechenden Destillaten.

Die anderen beiden Humbel-Langstieler aus dem Jahr 2019 sind wildvergoren. Der eine davon in einem grossen Holzfass, dass zwischen der Nutzung als Gärbehälter zwecks Fasshygiene mit Rum gefüllt wird. Grosse Unterschiede waren nicht festzustellen, doch zeigte der Fassvergorene eine im Vergleich deutlichere Stein- und eine leicht hefige Note, während der Wildvergorene etwas estriger war als die anderen.

Eine Tafel- unter Brennkirschen

Eine Exklusivität ist der Kordia 2014 von Röllin, denn er wurde aus der gleichnamigen Tafelkirsche destilliert, also nicht aus einer Brennkirsche. Dies, weil die Bäume im Jahr 2014 sehr viele Früchte trugen, so dass ein Teil davon als Schnaps verwertet werden konnte. Die Tafelkirsche ergibt im Brand Süsse und intensive Frucht. Weiter ging es mit dem Vowi-Kirsch (Weichsel) von Philipp Hotz, einem Brenner der nächsten Generation, und der Weichsel 2017 sowie der Wildkirsche 2016 von Thomas Heiner. Sie zeigten eine deutliche, gut eingebundene Steinnote (Marzipan, Bitterandel), die in den «normalen» Süsskirsch-Bränden so nicht zu finden war. Heiner ist bekannt dafür, «auf den Stein» zu brennen.

Josef Zwyssig erklärt in seinem Kirschengarten die Eigenheiten der verschiedenen Sorten.

Nach dem Mittagessen, selbstverständlich gab es eine Zuger Chriesiwurst, und einem Abstecher in den Baumgarten mit Josef Zwyssig, ging es weiter zu den Höfen von Fidel Kenel, Pius Kramer und Ruedi Schuler. Dort gelangten weitere hofeigene und andere Brände sowie Kirschen frisch ab den Bäumen zur Degustation. Die Früchte/Brände haben so schöne Namen wie Gantlihöfler (der Name von Kenels Hof), Täflers Wildkirsch oder Webers Sämling. Ganz speziell ist der von Lukas Fassbind 1999 gebrannte «vom Ruedi», benannt nach Bauer Ruedi Schuler, weil die Kirschensorte nie bestimmt worden ist. Als historisch zu bezeichnen ist die Verkostung des Zopf 2011 von Röllin auf dem Schulerhof, denn der Brenner hatte seine letzte Flasche dieses von der DistiSuisse zum besten Kirsch 2015/16 erkorenen Produkts mitgebracht.

Verschwundene Täflers und Schindler

Überhaupt glich der Besuch auf den vier Höfen einem Gang durch die Geschichte. «Dinosaurier streicheln» nannte Fassbind das Verkosten diverser hochprozentiger (nicht herabgesetzter), von ihm 1999 für Kirschstrasse Schweiz GmbH destillierter, reinsortiger Kirschbrände. Besichtigt wurden die Bäume, von denen die Früchte stammten, soweit das möglich war. Ausgerissen worden sind zum Beispiel die damals einzigen drei Bäume der Täflers Wildkirsche, weil die Kirschessigfliege diese zu sehr mag. Das gleiche Schicksal hat die Sorte Schindler ereilt, jedenfalls meinte Fassbind, er habe sie nie mehr angetroffen.

Wegen des Klimawandels sind die Chriesi heute drei Wochen bis einen Monat früher reif als vor 20 Jahren.

Er und die Bauern erzählten während des Spaziergangs im Arther Kirschgarten viel Interessantes über den Anbau, die Pflege und die Ernte der Chriesi. Ein Detail sei hier herausgegriffen: Während die Ernte der 1999 von Fassbind gebrannten Kirschen gegen Ende Juli stattgefunden hatte, stehen heuer die meisten Früchte bereits in der Reife oder sind schon abgelesen worden. Der Klimawandel findet statt. Interessant auch die Aussage von Fassbind, dass es bei gewissen, besonders kleinen Wildsorten rund 6900, von Hand gepflückte Kirschen brauche, um einen Liter Brand zu erzeugen. Dadurch wird klar, dass solche Produkte nicht zu Discountpreisen verkauft werden können.

Einige der verkosteten «historischen Brände» lagern zusammen mit vielen anderen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, im Jahrgangs-Keller und im Kirsch-Sarkophag im Fassbind’schen Stammhaus, dem Ausgangsort und der letzten Station dieses Anlasses. Hier präsentierte Hermann Röllin seine Zuger Kirsch der Sorten Räbechriesi 2004, Röllin 2001 und Ramsler 2007 samt den dazugehörigen Früchten. Während, so mindestens der Eindruck des Schreibenden, es allgemein praktisch unmöglich war, die Brände den jeweiligen Kirschensorten zuzuordnen, liess sich beim Räbechriesi eine deutliche Übereinstimmung feststellen. Der Schnaps hat vor allem in der Nase eine krautige, vegetabile Note, die sich in der herb schmeckenden Frucht wiederfindet. Einen interessanten Brand hatte die Distillerie Seetal beigesteuert: Sauerhäner, eine natürliche Kreuzung aus Süss- und Sauerkirsche.

Das Finale: Lauerzer Crystal 2000 ausgebaut im Kastanienholzfass, Weichsel Crystal 2000 und Lauerzer 2005.

Göttliche Brände

Zum Abschluss präsentierte Lukas Fassbind eine Serie - oder, wie das heute heisst, einen Flight - , von Dettling, die wohl nicht manche Edesdestillateliebhaber und -innen je im Glas haben: Lauerzer 2005 (Double-Gold am World Spirit Award 2019, gebrannt von Thomas Heiner), Weichsel Crystal 2000 (Edelbrand des Jahres an der Destillata 2003, Kostenpunkt 1200 Franken / 3,5 dl) und den im Kastanienholzfass gereiften Lauerzer Crystal 2000. Fassbind erklärte, dass die beiden ersten zu den «zwölf göttlichen Bränden» gehörten unter denen, die er je getrunken habe. Und tatsächlich zeigen sie in diesem Mass selten anzutreffende Harmonie, Reintönigkeit, Ausgewogenheit von Stein und Frucht, Intensität, Weichheit sowie einen langen, zart bitteren Abgang.

Lukas Fassbind, Bernadette und André Richiger.

Ein herzliches Dankeschön für diesen wahrhaft aussergewöhnlichen, ja einmaligen Anlass an Bernadette, André und Lukas sowie an die Brenner, die ihre Zeit und ihre Produkte vergünstigt oder kostenlos zur Verfügung gestellt haben.

Die Liste der verkosteten Brände
Ein weiterer Bericht zum Kirsch-Anlass von unserem Mitglied Andi Spichtig

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