Frauen mögen es herb und hochprozentig

Raphael Briner

09.11.2021

Das Schweizer Schnaps Forum präsentierte an seiner jüngsten Verkostung, die von der Spirituosen-Sommelière Ilona Fässler moderiert wurde, ausschliesslich von Frauen hergestellte Destillate. Die Produkte zeigten die ganze Vielfalt der Brennkunst auf. Die Runde war sich einig, dass es typisch «weibliche» und «männliche» Schnäpse nicht gibt.

Frauen mögen es süss, Männer herb. Das sei nur ein Klischee, sagte Judith Brunschwiler von der gleichnamigen Edelbrandbrennerei am Anlass. Vielmehr erlebt die Brennerin aus Oberuzwil SG oft, dass sich männliche Kunden für die meist süsslichen Vieille-Produkte begeistern und weibliche Gefallen an trockenen Destillaten finden.

Ein etwas anderes Bild hatte Patrick Zbinden, der Präsident des Schweizer Schnaps Forums, in seinem einleitenden Referat über die Erkenntnisse zum sogenannten Genderfood gezeichnet. Es gebe durchaus geschlechterspezifische Präferenzen, sagte er, welche die Genussmittelbranche in der Enzwicklung von Produkten und im Marketing nutze. Als Beispiel nannte er das Eve-Bier.

Barb Grossenbacher, Ilona Fässler und Judith Brunschwiler.

Brunschwiler hatte einen Himbeergeist mitgebracht. Dessen Nase ist intensiv und präsentiert viel perfekt reife Himbeerfrucht. Am druckvollen Gaumen ist das harmonische Destillat aromatisch etwas dezenter, elegant, leicht süsslich mit etwas Pfeffer im langen Abgang. Die Brennerin verwendet 20 Kilogramm Himbeeren für 100 Liter Brand, wobei nur die schönsten Früchte zum Zug kommen.

Ihr noch jugendlich-kantiger, harmonischer Brand von Berner Rosen, einer alten und eher seltenen Apfelsorte, hat eine wie üblich bei Apfelbränden dezente, jedoch sortentypische Frucht. Der Gaumen ist leicht ölig, elegant, Würze tritt zur Frucht und im langanhaltenden Abgang etwas Schärfe.

Bester Gin der Welt

Brennerin Barb Grossenbacher aus Hasle LU stellt ebenfalls fest, dass die kolportierten Vorlieben nicht viel mit der Realität zu tun haben: «Frauen mögen häufig den 57-prozentigen Edelwhite 57 besser als den Edelwhite Gin mit 42 Volumenprozent.» Letzterer, an der International Wine & Spirits Competition 2019 zum besten Gin der Welt erkoren, zeigt in der frischen Nase viel Zitrus, Minze, nur zarte Anklänge von Wacholder. Am weichen, leicht öligen Gaumen tritt die Würze der 27 Botanicals, von denen viele aus dem Entlebuch stammen, stärker hervor. Neben den nach wie vor prägenden Agrumen nun deutlich herauszuschmecken sind etwa Zimt, Koriander und Angelika. Der Abgang ist langanhaltend.

Reife Beeren aus der Ostschweiz, Charakterköpfe aus Bayern und die Früchte des hohen Nordens.

Der Edelwhite 57 basiert auf dem gleichen Destillat, ist im Vergleich verschlossener, der Alkohol blockiert die Frische und die aromatischen Nuancen. Zitrus dominiert noch deutlicher. Gibt man etwas Eis hinzu, wird der pfeffrige und leicht brennende Gaumen weicher und die ätherischen Noten der Botanicals können sich entfalten.

Herber Lorbeerlikör

Nicht persönlich am Anlass teilnehmen konnten Julia Galli d’Angelo von Giulietta Ama e Vivi in Luzern, Christina Habbel von der Destillerie & Brennerei Heinrich-Habbel in Sprockhövel (D), Birgitta Schulze van Loon von Birgitta Rust Piekfeine Brände in Bremen (D) und Franziska Bischof von Die Brennerin & Edelbrennerei Bischof in Wartmannsroth (D).

Galli d’Angelo hatte in einer schriftlichen Stellungnahme als Einzige bestätigt, dass die erwarteten geschlechterspezifischen Vorlieben stimmen: Frauen bevorzugen ihren sortentypischen, frischfruchtigen, schaligen und süssen Limoncello-Zitronenlikör. Männer haben ihre Präferenz beim Alloro-Lorbeerlikör, dessen dezente Nase herbe, harzige und vegetabile Noten zeigt, die sich am süsslich-würzigen Gaumen harmonisch spiegeln.

Frauen an der Verbandsspitze

Habbel hatte den Hillock 5 ½ Chief Single Rye Whisky und den Williams Birnenbrand beigesteuert. Der erste ist mit dezenter Aromatik und schlankem Gaumen ein typischer Vertreter seiner Art, wie Barb Grossenbacher erklärte, die ursprünglich aus Kanada stammt, wo Whisky aus Rye (Roggen) verbreitet ist. In der Nase frisches Holz, Kümmel, Getreide; am Gaumen süsslich, mit Schärfe, leicht belegend; wenig komplex. Gibt man dem 47,5-prozentigen Destillat etwas Wasser bei, zeigen sich leicht rauchige Noten und das Holz vom Bourbon-Fass deutlicher.

Der Williams ist in der mittelkräftigen Nase sehr sortentypisch und komplex mit Zitrus- und schaligen Birnenaromen sowie Würze. Am leicht öligen, saftigen Gaumen hat es ordentlich Druck, viel reife Williamsaromatik und leichte Adstringenz, der Abgang ist lang.

Chief-Whisky und Williams von von der Präsidentin, Gin mit Entlebucher Botanicals sowie süsse und herbe Liköre aus Luzern.

Dass die Spirituosebranche längst keine Männersache mehr ist, beweist die Tatsache, dass Habbel als Präsidentin des Verbands deutscher Whiskybrenner (sic!) amtet, dessen Vorstand zu drei Vierteln aus Frauen besteht. Auch der Bundesverband der deutschen Spirituosenindustrie und Importeure hat eine Frau an der Spitze.

Überraschungsmoment nutzen

Franziska Bischof hingegen hatte in einem E-Mail festgestellt, dass es immer noch sehr viele Personen überrasche, wenn eine Frau diesem Beruf nachgehe, weil in deren Vorstellung immer noch der ältere Herr derjenige sei, der Hochprozentiges herstelle. Dieses Überraschungsmoment nutze sie gerne, schreibt Bischof weiter. Statt den erwarteten «lieblichen Produkten» präsentiere diesen Leuten «pfurztrockene gute Brände».

Bischof gibt ihren Produkten Namen, die sie aus deren Charakter ableitet. Und da kommen dann doch Stereotypen ins Spiel. Der Quittenbrand heisst Herzdame, präsentiert in der dezenten, aber komplexen Nase reife Quittenfrucht und Blütennoten. Am süssen, kräftigen, leicht öligen Gaumen zeigt sich dann auch die typische Wachsnote, der Abgang ist langanhaltend. «Die Herzdame dreht auf», sagte Moderatorin Ilona Fässler. Oder wie es Bischof ausdrückt: Es sei wie mit der Herzdame im richtigen Leben. Man müsse sich erst mächtig ins Zeug legen, bevor man sie erobert habe – und schätze sie dann umso mehr.

Der komplexe Brand von der schwarzen Johannisbeere nennt sich Halunke und ist entsprechend kräftiger, würziger, herber mit einer sortentypisch fruchtigen und erdigen Nase. Der Gaumen ist rund, zeigt sich röstig (Schokolade), würzig (Minze), leicht bitter, adstringierend, was von Süsse gepuffert wird.

Viel Vitamin C

Von Birgitta Schulze van Loon kamen ein Sanddornbrand und ein Holunderbrand. Der stark Vitamin-C-haltige Sanddorn wird in Norddeutschland für allerlei Produkte verwendet. Der harmonische Brand ist in der Nase komplex mit Mango- und Zitrusfrucht, nussig-röstigen, laktischen (Eierlikör) und grünholzigen Noten. Am weichen Gaumen ist er süsslich, beerig und hat viel Druck sowie einen langen Abgang.

Der Holunderbrand weist typische Fruchtnoten auf, die an den Duft von aufgekochtem Holundersaft erinnern, dazu kommen Rose, Schokolade und stielige Anklänge. Der mittelkräftige Gaumen hat eine ölige Weichheit, die von einer leichten Schärfe ausgeglichen wird. Auch das ist ein harmonisches, komplexes Produkt.

SSF-Präsident Patrick Zbinden weiht die Runde in die Geheimnisse des Genderfoods ein.

Quasi hors concours – die Produzentinnen waren eigeladen worden, zwei Destillate zu zeigen – verkosteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Spargelgeist von Schulze van Loon, der klar als solcher erkennbar ist, in der Nase und am süsslichen sowie leicht scharfen Gaumen aber nur dezente Frucht (bzw. Gemüse) zeigt, die sich im langen Abgang dann akzentuiert.

Zum Schluss ein herzliches Dankeschön an die Herstellerinnen der verkosteten Destillate, die alle ihre Produkte dem Schweizer Schnaps Forum kostenlos zur Verfügung gestellt haben.

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