Zwischen Show und Substanz

Andi Spichtig

11.10.2022

Der neue Trend in der Getränkeindustrie und neuerdings auch bei einigen Schweizer Brennereien heisst «non alcoholic distilled spirits». Oder auf Deutsch: Alkoholfreie Destillate. Im Rahmen des drittgrössten Food Festivals Europas mit über 100 Events in und um Zürich organisierten Patrick Zbinden und das Schweizer Schnaps Forum (SSF) unter dem Motto «Alkoholfreie Spirituosen- Alternativen im Vergleich» einen interessanten Event zu diesem aktuellen Thema.

Der Event war mit 25 sehr interessierten Personen restlos ausgebucht. Interessant festzustellen war auch, dass bei Anlässen des SSF normalerweise Herren dominieren. Hier war es genau umgekehrt. Zwei Drittel der Teilnehmer waren Frauen. Hervorragend geleitet und sachlich dokumentiert wurde die Verkostung nebst Zbinden von Alex Armbrüster, Profibarkeeper und Leiter der Barfachschule Zürich. Am anschliessenden Talk beteiligt waren Zbinden und die beiden Hersteller Janick Planzer, Co-Founder von Revels, und Pascal Jürgens, Geschäftsführer von 9 Meadows.

Es fehlt das Mundgefühl
Alkoholfreie Spirituosenalternativen boomen, obwohl es gelinde gesagt schwierig ist, Gin, Whisky, Rum & Co, ohne den wichtigen Geschmacksträger Alkohol nachzuahmen. Ein Hin und Her zwischen Show und Substanz.

Bei den gin-ähnlichen ADS zeigte sich ausserdem, dass sich wenige der Produkte zum Pur-Trinken eignen und dass die Textur des Alkohols schwer nachzuahmen ist, es fehlt das ölig-weiche Mundgefühl. Viele ADS hinterliessen einen wässrigen Eindruck, während das Brandige recht gut durch subtile Schärfe, in der Regel durch die Beigabe von Chili simuliert werden konnte. Mit Tonic ergaben sich dann ebenfalls grosse geschmackliche Unterschiede. Die Zugabe von Tonic ergibt in den meisten Fällen eine aromatische Bitterlimonade, was automatisch zur Frage führt, warum man nicht gleich Bitter Lemon pur trinken könnte, zumal das sehr viel preiswerter wäre!

Die Verkostungen
Gestartet wurde mit 3 Gläsern, welche blind verkostet werden mussten. Basis war der Gordon’s alkoholfrei 0,0%.

  • Glas 1 mit Zitronengras: Einige Teilnehmer schmeckten darin eine gewisse Süsse, künstliche Aromen von Zitrone und Würze.
  • Glas 2 mit Zitronenzesten: Zitrone dominiert, wirkt frisch, nicht so süss, nichtssagend, Gin nicht stark spürbar. Schärfe und Säure fehlen. Gurke im Hintergrund.
  • Glas 3 mit Rosmarin: Dezent würzig, Rosmarin spürbar, frisch, wirkt elegant, aber unauffällig, Gin nur dezent erahnbar. Schärfe und Säure fehlen. Gurke im Hintergrund.
  • Ergebnis: Glas 1 war reines Tonic, was meine Frage im obigen Abschnitt unterstützt.

Als nächstes Experiment wurde ein klassischer Negroni serviert. Substituiert mit einem alkoholischen Drink und einer alkoholfreien Alternative. Also alkoholischer Gin, Campari und Wermut und die dazu passenden alkoholfreien Alternativen.

  • Negroni mit Alkohol: Bitter-süss, prägnante Negroninote, schöne Geschmackstiefe, frischer, bitterer Gaumen, pikante Noten von Grapefruit, Zitrus und Wacholder, minim krautig, komplex, ausgewogen, idealer Appetitanreger!
  • Negroni ohne Alkohol: Interessanter Drink, Gartenkräuter, vielfältiger Geschmack, minime Bitterkeit wohl vom Bittersirup oder vom Wermut, schöne Säure, gute Balance, aber trotzdem gewöhnungsbedürftig, es fehlt etwas die Harmonie, das Mundgefühl kann mit einem richtigen Negroni nicht mithalten, wirkt flach.
  • Ergebnis: Eine meiner Meinung nach ernüchternde Bilanz der Mehrheit der Teilnehmerinnen. Die alkoholische Variante war der nichtalkoholischen weit überlegen. Dies bewog Bar-Profi Armbrüster dazu, die nachfolgenden Experimente nur noch ausschliesslich in der nichtalkoholischen Version zu mixen und zu servieren.
  • Rum als alkoholfreie Variante: Nicht unangenehm, vor allem in der Nase. Erstaunlich typische Rumnoten für eine Rum-Alternative, moussiert zuerst etwas, Rohrzucker, Tonkabohnen, Toffee, Feigen und geröstete Nüsse, frisch, komplex, aber ordentlich sauer.
  • Amaretto alkoholfrei: Der wohl am besten gelungene alkoholfreie Drink an diesem Abend. Die typischen Noten von Bittermandeln und süssen Mandeln sind problemlos erkennbar. Eine schöne Schärfe, etwas Würze und Vanille zeichnen ihn aus.

Schlussfolgerungen
Der noch junge Trend zu alkoholfreien und Low-ABV-Drinks ist stetig am Wachsen und diese Getränke erhalten immer mehr auch die Bedeutung, welche ihnen zusteht. Vor einigen Jahren betrug der Umsatz von Non-Alkoholic-Drinks etwa 2 Prozent. Jetzt sind es bereits 10 Prozent, Tendenz steigend.

Sicher ist auch, dass die neue Zielgruppe in Bars nicht einfach einen Fruchtsaft, Limos mit Drachenfrucht, zuckrige Sirups mit billigsten Weinen gestreckt oder einen Fake Cocktail trinken möchte, sondern komplexere und spannendere Drinks, für die sie auch bereit ist, tiefer in die Tasche zu greifen. Abends in einer Bar möchte man beispielsweise einen Cocktail, der nicht nur einen guten Geschmack, sondern auch einen coolen Look hat. Dies auch ohne Alkohol.

Für die Startups und internationalen Hersteller ist es demzufolge wichtig, das Produkt genau wie seinen alkoholhaltigen Zwilling ernst zu nehmen, also noch verstärkt nach Qualität zu suchen. Dazu kann ich nur noch Janick Planzer zitieren, der sagte: «Den Trend geben nicht die Barkeeper oder Kenner vor, sondern die Konsumenten.»

Lesen Sie den ganzen Bericht und einen weiteren Bericht zum Anlass!

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