Birnen - In der Obstsortensammlung Roggwil

Florian Walpen

01.10.2023

Thurgau, eine Anhöhe über dem Bodensee, direkt hinter dem Autobahnzubringer: Knapp an der Idylle vorbei. Umso einladender der Obstgarten an diesem sonnigen Herbsttag, 16. September 2023. Birnen sind angesagt, in allen Farben und Formen. Schnell gehören die sausenden Autos zum Hintergrundrauschen.

Beim Vereinslokal begrüsst uns Michael Lüscher. Er ist sowohl Mitglied beim SSF wie auch beim Verein Obstsortensammlung Roggwil, und heute unser Gastgeber.

Obstsortensammlung Roggwil

Diverse Schilder mit Sortenbezeichnung an Birnbäumen
Birnbäume in der Obstsortensammlung Roggwil, jeder Baum eine eigene Sorte.

Der Standort ist kein Zufall. Entstanden ist die Obstsortensammlung auf einem Streifen Land, welcher nach einer Redimensionierung des Autobahnzubringers ungenutzt blieb. Anfangs der 90er Jahre wurden die Ideen zur Realität, das Land reserviert und der Verein gegründet.

Ziel der Obstsortensammlung ist die Erhaltung einheimischer Obstsorten. Auf inzwischen fünf Hektaren Land stehen fast 400 Hochstammbäume in 10 mal 10 Meter Abstand. Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen, Zwetschgen, Nüsse - jeder Baum eine eigene Sorte. Der Verein bewirtschaftet den Obstgarten, pflegt die Bäume, erntet die Früchte und bietet Gruppenführungen an.

Nach dieser Einleitung lädt Michael Lüscher zum Apéro: Grosszügig gereifter Käse aus der Region, abgerundet mit einer bunten Auswahl an Tomaten und hauseigenem Most.

Anbau und Pflege

Urs Müller steht vor einer Runde Teilnehmer im Vereinslokal
Urs Müller gibt eine kurze Einführung im Vereinslokal.

Dann stösst Urs Müller zu uns. Er ist Leiter Obst Gemüse Beeren im Kompetenzzentrum für die Landwirtschaft Arenenberg, Kanton Thurgau. Als Experte für Obstbau und Birnensorten wird er uns einen Einblick in sein Fachgebiet geben. Frisch gestärkt gibt es eine kurze Einführung, anschliessend begeben wir uns in den Obstgarten.

Urs Müller und die Teilnehmer vor dem Wasserbirnenbaum
Birnen-Anbau anschaulich erklärt, anhand eines Wasserbirnenbaums.

Vor einem mächtigen Hochstammbaum der Sorte Wasserbirne geht Urs Müller auf praktische Aspekte beim Anbau ein. Standort und ein warmes Klima sind sehr wichtig, Schnitt und Drehwuchs, oder auch welche Ernte zu erwarten ist. Manche Sorten tragen jede Saison Früchte, andere nur alle paar Jahre. Wobei die Birnen je nach Sorte schon im August oder erst im November reif sind. Ebenso anschaulich der längere Zeithorizont, zwischen den jüngeren Bäumen daneben und dem ausgewachsenen Wasserbirnenbaum liegen Jahrzehnte an Pflege und Arbeit.

Halbierte Birne mit bräunlichen Stellen um den Kern
Immer das Taschenmesser dabei - Reifeprozess einer Birne.

Wie bei anderen Obstbäumen wird ein Reiser (Zweig) der gewünschten Birnensorte auf eine geeignete Unterlage (Wurzelstock) aufgepfropft. Früher war es üblich dass Bauern unterwegs bei einem Baum einen Reiser mitnahmen, um die Sorte auf dem eigenen Hof anzubauen. Mit dieser Methode fanden vorteilhafte Sorten ihre Verbreitung. Die Unterlage beeinflusst unter anderem Wuchs, Stamm und Anfälligkeit auf Krankheiten oder Schädlinge. Interessanterweise eignen sich auch Quitten als Unterlage. Oberhalb des Stamms können sogar mehrere Äste mit unterschiedlichen Sorten aufgepfropft werden, so dass ein einzelner Baum verschiedene Birnen tragen kann.

Die Bruchstelle eines abgebrochenen Astes
Ast mit "Sollbruchstelle".

Bei Gelegenheit demonstriert Urs Müller seine Erklärungen auf handfeste Art - etwa um einen Mäuseschaden an der Wurzel zu zeigen, oder wie ein Astbruch verheilt. Wir finden Gitterrost auf den Blättern, erfahren von einheimischen und neu eingewanderten Schädlingen, und natürlich dem Feuerbrand. Gerade bei selteneren Birnensorten kann dieser verheerend wirken. Müssen die Bäume gefällt werden, geht der Bestand schnell gegen null.

Birnen, Birnen und andere Birnen

Teilnehmer lesen Unterlagen, eine Kiste Birnen im Vordergrund
Sortenthematik, etwas Theorie gehört mit dazu.

Zurück im Vereinslokal vertiefen wir uns in die Sortenthematik. Nebst der klassischen Pomologie werden heutzutage auch DNA-Analysen zur Sortenbestimmung verwendet. Wobei man aufpassen muss, dabei können unbedeutende Veränderungen fälschlicherweise als neue Sorte erkannt werden. Eine Inventarisierung aller Birnensorten in der Schweiz gestaltet sich schwierig, weil viele Sorten nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden und nur noch vereinzelt auf Bauernhöfen anzutreffen sind. Am meisten Erfolg hatte deshalb ein Aufruf an die Bauern, ihre speziellen Birnensorten selbst zu melden.

Abgesehen von Obstsortensammlungen haben vom Aussterben bedrohte Sorten die besten Chancen, wenn sie aktiv genutzt und bewirtschaftet werden. Oft finden sich Nischen, regionale Gerichte und Traditionen wie zum Beispiel die Büschelibirne in Freiburg, oder regionale Spezialitäten wie Birebrot und Schlorzifladen. Urs Müller hat Birnen zur Degustation mitgebracht, die Vielfalt an Geschmacksrichtungen spiegelt sich auch in deren Verwendung: Mundige Tafelbirnen, saftige Mostbirnen, Birnen mit viel Gerbstoffen zum Klären von Most, harte Koch- und Bratbirnen, Birnen welche sich zum Dörren eignen. Die grösste Hürde für den Grosshandel stellt die Lagerung dar. Ist der Reifeprozess einer Birne einmal angelaufen, lässt er sich nicht mehr stoppen.

Verschiedenfarbige Birnen nach Sorte eingeteilt
Zum Reinbeissen - wer würde bei dieser Auswahl nicht probieren wollen?

Positiv aufgefallen sind uns die Muskatellerbirnen, eine kleine Tafelbirne. Mild, dezente Süsse, frisch und würzig mit Muskataromen, wie der Name schon sagt. Oder etwa eine als ganzes gedörrte Birne welche man wie eine Salami in Scheiben schneidet. Sie beweist wie komplex und fruchtig-würzig eine Dörrbirne schmecken kann, wenn die saure, karamellsüsse Dörraromatik nicht alles dominiert.

Nach so viel Fachwissen gibt es zum Glück keine Prüfung, sondern eine kulinarische Pause in Form von Bratwurst und Bürli.

Sortenreine Brände

Florian Walpen leitet die Degustation vor zwei Tischen mit TeilnehmerInnen
Gemeinsame Degustation, es gibt viel zu entdecken und diskutieren.

Als Hauptgang einer SSF-Veranstaltung gilt jedoch nach wie vor die Degustation von Destillaten. Wir starten mit einer Conférence. Die feingliedrige Aromatik ist fruchtig und wunderbar typisch, würde aber im Vergleich mit den kräftigeren Destillaten untergehen. Dies ist vermutlich auch der Grund, weshalb die im Handel erhältlichen Tafelbirnen erstaunlich selten gebrannt werden, abgesehen von Williams.

Sehr prominent vertreten sind hingegen die Mostbirnen. Gelbmöstler, Ottenbacher Schellerbirne und Theilersbirne haben einen festen Platz in der Schweizer Brenntradition. Auch verbreitet ist die Bäriker-, Isler- oder Schwärzibirne, eher als Dörrbirne bekannt. Bei den Raritäten lassen sich manche Destillate nicht eindeutig zuordnen, weil die Sorten mit lokal gebräuchlichem Namen angegeben sind.

Flaschen mit Destillaten auf einem Tisch
5 x 3 sortenreine Destillate im Programm, die B-Auswahl unter dem Tisch.

Die Wasserbirne überrascht mit Aromen von Melone und Vanille. Frische Zitrusnoten beim Grünmöstler. Apfel, Anis und Schokolade bei der Knollbirne. Beim Rietwiesler gesellen sich Honig und Heu dazu. Lakritz und Beeren bei der Räberbirne. Und die Egnacher Weinbirne macht ihrem Namen alle Ehre. Hier öffnet sich ein riesiges Spektrum an Aromen, eben die ganze Vielfalt der Birnensorten.

Wer schon länger beim SSF dabei ist kennt sicher die Wahlsche Schnapsbirne, die auch hier wieder durch ihr komplexes Bouquet glänzt. Unsere Entdeckung des Abends ist jedoch der Schwarzrädler, übrigens eine der Lieblings-Sorten von Urs Müller: In der Nase paart sich die fruchtige Birne elegant mit Weisswein und Lakritz, am Gaumen ist er süsslich-mild, Wachs und Holz mit Lakritz und einem Hauch Brombeere.

Dame nimmt ein Stück von einem Hefekranz in Überlänge
Zeit für einen Kaffee, hungrig geht hier niemand nach Hause.

Nicht ganz überzeugen kann die letzte Serie mit Vieille und Likör. Michael Lüscher schafft hier Abhilfe: Zum Kaffee tischt er einen grossartigen Hefekranz auf. Damit findet dieser Anlass einen würdigen Abschluss. Wer möchte darf sich selbst bei den Destillaten bedienen. Prost und gute Heimreise!

Ein Abschlussfoto mit den Teilnehmern

Herzlichen Dank an Urs Müller für den spannenden Nachmittag und die fachkundige Begleitung, an Michael Lüscher für das tolle Rahmenprogramm und sein Engagement bei der Organisation, sowie dem Verein Obstsortensammlung Roggwil für die Gastfreundschaft.

Ebenso an alle die spontan mitgeholfen haben, bei der Logistik, mit Fotografieren, beim Aufstellen, am Grill, beim Auftischen, Einschenken und Abräumen: Ein grosses Dankeschön!

Zur Übersicht aller Artikel

Lesen Sie weitere Artikel zum Thema:

Birnen Sorten Obstsortensammlung