Macardo - Raffiniert Kombiniert

Florian Walpen

01.07.2022

Oftmals sprechen wir über Traditions-Destillerien mit hundertjähriger Geschichte - und dann steht man vor einer jungen Destillerie und denkt: Das ist eine für die nächsten hundert Jahre. Endlich hat es geklappt, am 25. Juni 2022 treffen wir uns im thurgauischen Strohwilen zu einer Betriebsbesichtigung bei «Macardo Swiss Distillery GmbH».

Baujahr 1904 verraten uns die Backsteine des ehemaligen Käsereigebäudes, inzwischen denkmalgeschützt. Seit 2007 wird darin eingemaischt und destilliert. Parallel dazu steht das lang gezogene Fasslager, dahinter befinden sich die Gebäude für Empfang, Gastrobereich und Events sowie das Bed & Breakfast. Diese Neubauten wurden 2020 eröffnet.

Gebäude-Front mit ehemaliger Käserei links, Fasslager rechts.
Frontansicht der Gebäude, mit ehemaliger Käserei links und Fasslager rechts.

Südseitig auf der Terrasse geniessen wir erst mal die Aussicht bei Kaffee und Gipfeli. Dann nimmt uns Andy Bössow mit auf die Tour. Zuerst besichtigen wir das moderne Fasslager. Beeindruckend sind sie, die hohen Wände mit über 400 individuell aufgehängten Fässern. Dadurch lassen sich unterschiedliche Temperaturen innerhalb des Raumes für die Lagerung nutzen. Das Raumklima unterliegt zwar saisonalen Schwankungen, Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden jedoch über die hauseigene Quelle stabilisiert.

Das beeindruckend grosse Fasslager.
In die Höhe gebaut - das moderne Fasslager mit individuell aufgehängten Fässern.

Dass es sich bei der Fasslagerung um das Herzstück der Macardo-Produktion handelt, zeigt sich an vielen Details. Einige sind bereits beim Bau in die Planung eingeflossen. Das einzige Fenster ist nach Norden ausgerichtet, um direkte Sonneneinstrahlung zu vermeiden. Temperaturspitzen werden von der hinterlüfteten Fassade abgefangen. Das Gewicht der Fässer lässt sich einzeln mit Sensoren überwachen. Den Brandschutz gewährleistet eine automatische Stickstoff-Löschanlage.

Spezialfässer und professionelle Lagerung im Kundenauftrag.
Spezialfässer und professionelle Lagerung im Kundenauftrag.

Bei den Fässern legt Macardo den Fokus auf amerikanische Eiche, geschmacklich findet sie sich denn auch in vielen Produkten wieder. Der Bourbon wird bei Macardo «Thurbon» genannt, aus markenrechtlichen Gründen. Dann gibt es natürlich gebrauchte Weinfässer und das eine oder andere Experiment. Ein Fass aus der schottischen Laphroaig-Destillerie beispielsweise, das seinen Islay-typischen torfig-rauchigen Geschmack einbringt.

Die vielseitig einsetzbare Destille
Rundum nachhaltig. Die Destille wird mit Brennholz und Solarstrom geheizt.

Ebenso modern eingerichtet sind Maischetanks und Destille im ehemaligen Käsereigebäude. Damit lässt sich eine grosse Bandbreite von Produkten herstellen, von Gin und Fruchtbränden über Getreide bis hin zum hochprozentigen Vodka. Geheizt wird mit nachhaltigen Ressourcen, lokalem Brennholz und Photovoltaik. Die Abwärme wird geothermisch gespeichert, um die Wärmepumpen in der Heizperiode zu unterstützen. Zu guter Letzt verwertet der Betrieb auch noch die Schlempe in einer landwirtschaftlichen Biogas-Anlage.

Maischetanks.
Auch die Maischetanks sind modern und vielseitig einsetzbar.

Etwas rustikaler geht es bei der Flaschenabfüllung zu und her. Sie erfolgt manuell. Daher eignet sie sich gut, um Erwerbslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Eine weiteres Beispiel für die Zusammenarbeit in der Region.

Degustation in der Lounge
Andy Bössow lädt zur Degustation in der gemütlichen Lounge.

Anschliessend wenden wir uns den Produkten zu. Wir machen es uns in der Cigar Lounge gemütlich, geraucht wird aber (noch) nicht. Es gibt eine breite Palette von Destillaten zu degustieren. Auffallend sind bei allen Produkten die feine Textur und das weiche Mundgefühl. Der Vodka ist typisch rein mit einer dezenten Getreide-Note. Bei Whisky und Thurbon zeigt sich der jeweilige Getreidebrand etwas verhalten, dafür kommt das prägnant definierte Holz der Fässer umso besser zur Geltung. Als Kontrapunkt dazu verkosten wir den Melasse-basierten Rum mit erdigem Geschmack und Röstaromen. Zum Schluss erwarten uns Fruchtbomben, mit Dörrfrüchten verstärkte Williams- und Aprikosen-Vieilles, sowie der Mandarinen-Likör - eine Wucht! Es sind allesamt harmonische und gefährlich süffige Produkte.

Degustation an der Bar
Während der Degustation erklärt Andy Bössow das Konzept der Honesty Bar.

Ein spätes Mittagessen auf der Terrasse rundet den offiziellen Teil der Besichtigung ab. Wir lassen es uns aber nicht nehmen, noch einmal die Cigar Lounge zu erkunden, diesmal auf eigene Faust. Darin integriert ist nämlich eine Honesty Bar mit Getränken und Zigarren in Selbstbedienung. Ein Bartender-Roboter ist für die Cocktails zuständig. Auch das mit der «Selbstbezahlung» scheint gut zu funktionieren. Im letzten Jahr waren lediglich 4 Prozent «Schwund» zu verzeichnen. Ob das nun eher «Angels Share» oder «Devils Share» ist? Laut Andy Bössow gilt hier die Unschuldsvermutung.

Cigar Lounge in Selbstbedienung
Am Schluss kommen auch noch die Zigarren-Liebhaber zum Zug.

Wer möchte kann bei Macardo Räumlichkeiten für Veranstaltungen buchen, Hochzeiten zum Beispiel. Und wer es danach nicht nach Hause schafft, kann im Bed & Breakfast übernachten. All das gehört zum Konzept von Macardo, eine raffinierte Kombination. Regionale Gegebenheiten werden kreativ genutzt. Dies verspricht Synergien, Nachhaltigkeit und vor allem: unbeschwerten Genuss.

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