Mehr als bloss Fondueschnaps

Daniel Böniger, Text Doris Fanconi, Fotos

10.11.2017

Artikel aus dem Tages-Anzeiger vom 10. Nov. 2017

Es riecht leicht nach Kirschkonfitüre. Aus einem alten Kofferradio plätschert lüpfige Ländlermusik. Und im Neonlicht glänzt die blitzblanke Brennanlage, die den grosszügigen Raum dominiert. Betriebsleiter Ernst Beeler nimmt ein Schnapsglas, dreht ein Hähnchen auf. Von der klaren Flüssigkeit, die in feinem Faden aus der Apparatur rinnt, nimmt er ein Gläschen voll und hält es sich unter die Nase: «Ich warte noch einen Moment länger», sagt er. «Ganz leicht ist der Vorlauf noch zu riechen.» Schon ist man als Besucher mittendrin in der Welt, die den Innerschweizer umtreibt. Es ist die Welt des Kirschs.

Die Nase ist immer noch das beste Instrument, um Vorund Nachlauf abzutrennen.

Es sind viele Faktoren, welche die Qualität eines Destillats beeinflussen. Das korrekte Abtrennen von Vor- und Nachlauf wird bei Einführungen in die Materie meist zuerst genannt. Es geht darum, unerwünschte Stoffe sauber abzutrennen – anfangs Methanol und Acetaldehyd, erkennbar am Nagellackentferner- und Leimgeruch; am Ende die sogenannten Fuselöle, sie erinnern aromatisch an frisch geschnittenes Gras und sorgen für den «Kater» am nächsten Tag. «Für einen guten Kirsch brauchen wir nur das Herzstück des Brands.» Inzwischen könnte man dieses auch mit Sensoren bestimmen, sagt Beeler – doch fehlten dann die Ecken und Kanten: «Ich habe entsprechende Brände schon probiert, sie schmecken irgendwie steril. Es fehlt der menschliche Faktor.»

Deutliche Unterschiede

Es sei aber nicht nur der Brenner, der für einen guten Kirsch verantwortlich sei, hört man gleich anschliessend. Und stösst noch weiter vor ins Mysterium des Schnapsbrennens, als man vom Fachmann vernimmt, dass beide Brennkolonnen des Apparats – obwohl technisch identisch – unterschiedliche Brände liefern: Links ist das Resultat aromatisch dumpfer, rechts merklich fruchtiger. «Hier, riechen Sie selbst!» Tatsächlich: Obwohl aus der gleichen Maische destilliert, ist der Unterschied auch für den Laien problemlos zu erkennen.
Welche weiteren Faktoren bestimmen die Qualität sonst noch? Am wichtigsten seien natürlich die zugrunde liegenden Früchte. Ernst Beeler drückt dies ein wenig verspielt aus: «Aus Döschwo-Chriesi kann ich keinen Porsche-Schnaps machen», sagt er amüsiert. «Wenn ich aber Ferrari-Chriesi habe, dann kann ich zu tunen beginnen.» Wichtig sei zudem, dass man die Früchte möglichst bald einmaische – also mit Hefe zur alkoholischen Gärung bringe.

Am Ende wird der Kessel fleissig geputzt: «Schon der Vorgänger hat das so gemacht.».

Für gute Früchte, so Beeler, brauche es gutes Wetter. Diesbezüglich habe man in der Region dieses Jahr viel Glück gehabt, sagt der 45-Jährige. Weder sei man vom Frost Ende April in grösserem Ausmass betroffen gewesen, noch habe die Essigfliege für grössere Ernteausfälle gesorgt. Einen Zulieferer von insgesamt 20 konnte Ernst Beeler allerdings dieses Jahr nicht mehr berücksichtigen: Bisher kamen gut 2 Prozent der Kirschen aus dem Basler Fricktal; weil Dettling-Kirsch neu ein AOP-Produkt ist, darf das Rohmaterial aber ausschliesslich aus der näheren Umgebung stammen.
Ist ein Kirsch erst einmal gebrannt, wird er in grossen Tanks oder in kleineren Korbflaschen gelagert und regelmässig verkostet. Hat er den gewünschten «runden Geschmack», wird er von circa 85 Prozent Alkohol auf Trinkstärke, rund 40 Prozent, heruntergesetzt. Bis es so weit ist, kann es bei Spezialitäten wie dem «Wildchriesi» manchmal beachtliche 20 Jahre dauern.
Seit 2014 arbeitet Beeler hier in Brunnen. Zwar sei er von klein auf mit der Schweizer Schnapskultur vertraut: «Bei uns zu Hause stand bei Familienfeiern schon meistens ein Bauernbrand auf dem Tisch, wenn es lustig wurde.» Doch hat es einige Umwege gebraucht, bevor er seinen heutigen Traumberuf fand: Er ist gelernter Forstwart, hat acht Jahre beim Festungswachkorps gearbeitet, bevor er in einer Brennerei in Küsnacht am Rigi sein jetziges Handwerk erlernen durfte. Dass sein Vorgänger Toni Eberhard bei Dettling bald in Pension gehen würde, erfuhr er eher zufällig: «Meine Frau hatte davon gehört – ohne sie wäre die Chance wohl an mir vorbeigezogen.»

Zurückhaltende Besitzer

Bei der Arnold Dettling AG wird ausschliesslich «Chriesiwasser» gebrannt, was mit der Geschichte des Unternehmens zusammenhängt: Ursprünglich hat die Arnold Dettling AG, gegründet 1867, also vor exakt 150 Jahren, italienische Weine, Reis, Polenta, Salami und Tabak importiert: «Der Gründer Franz Xaver Dettling wollte im Gegengeschäft etwas exportieren – da bot sich regionaler Kirsch an.» Inzwischen ist man von der deutschen Firma Underberg gekauft worden, worin Ernst Beeler aber keine Nachteile sehen mag: «Beim Einkauf von Flaschen und Verpackungskartons bin ich sogar froh, dass mir das Mutterhaus das abnimmt.» Ausserdem dränge sich die Besitzerfamilie bei Preisverleihungen – und Preise bekommt die Brennerei Dettling regelmässig – nie in den Vordergrund. «Für die Siegerfotos, etwa bei den World Spirits Awards, muss ich jeweils mein Gesicht hinhalten.»
Hat er nie Lust darauf, etwas anderes als Kirsch zu destillieren? «Mich würde es schon reizen, mal einen Williams oder eine Zwetschge zu brennen», gibt er zu. «Aber das müsste ich dann wohl heimlich machen, weil Dettling wirklich einzig für Kirsch steht.» Hinzu komme, dass die ganze Brennanlage für andere gebrannte Wasser schlichtweg nicht geeignet sei: Die Zu- und Abpumpschläuche hätten einen zu geringen Durchmesser für grössere als Kirschsteine.
Wenig überraschend betont Beeler sogleich, dass Kirsch genügend Vielfalt biete. Es gebe nämlich überhaupt kein typisches Kirschenaroma: «Wenn Sie in einem dunklen Raum vor einem Korb voll einwandfreier Kirschen stehen, können sie diese – anders als Äpfel oder Aprikosen – nicht riechen.» Erst durch das Brennen hole man die Aromenvielfalt aus den «Chriesi» heraus. Ein reinsortiger Lauerzer schmecke fruchtig und feingliedrig; die Cuvée namens Réserve sei eher würzig und kraftvoll. «Man muss selber herausfinden, was man lieber mag», sagt Beeler.
Die einzige Empfehlung, die der Brenner abgibt: dass man neben einem Käsefondue am besten die einfache Basisqualität, den Supérieur Vieux, einschenke. «Nach dem Essen können Sie dann immer noch etwas Spezielles ins Glas geben.» Zum Beispiel einen Kirsch, der im Sherryfass geschlummert hat und merklich nach Bitterschokolade riecht. Auch dieses goldfarbene Destillat ist übrigens trotz Holzeinsatz noch unverkennbar als Kirsch zu identifizieren.
Es dürfte unter den 25 verschiedenen Etiketten, die bei Dettling produziert werden, für jeden etwas dabei sein. Wie kommt es also, dass in Schweizer Bars und Restaurants nach dem (vergleichsweise harmlosen) Rum-Trend nun die Gin-Euphorie tobt? Und der Kirsch daneben fast ein Stiefmütterchendasein fristet? «Gäbe es im Ausland grosse Kirschdestillerien, die dafür das gleiche Marketingbudget einsetzen würden wie für die anderen Schnäpse – dann würde der Kirsch-Hype ausbrechen.» Weil aber hierzulande ein Werbeverbot für gebrannte Wasser gelte, müsse man halt weiterhin jeden einzelnen Geniesser persönlich in die Welt des Kirschs einweihen. Eine Arbeit, die Ernst Beeler offensichtlich Freude bereitet.

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